VEGETARISMUS IN DEN WELTRELIGIONEN

«Ich sehe keinen Grund, warum man Tiere schlachten
und ihr Fleisch essen soll, da man doch so viel anderes
essen kann. Der Mensch braucht kein Fleisch.»
(Dalai Lama)

Barmherzigkeit und Mitgefühl gegenüber Schwächeren sind grundlegende ethische Werte, die von sämtlichen Religionen der Welt hoch geachtet werden. Aber warum werden sie heutzutage nicht mehr auf die Tiere bezogen? Warum fordert keine der großen Religionen der Gegenwart von ihren Gläubigen, mit dem Schlachten und Essen von Tieren aufzuhören?

Wäre es nicht vernünftig anzunehmen, daß Gott, der nur das Beste für seine Schöpfung will, für den Menschen die gewaltlose und gesunde vegetarische Ernährung vorsieht? Und doch wird das religiöse Prinzip des vegetarischen Lebens von den zeitgenössischen Großkirchen meist verkannt, ja oft sogar bewußt heruntergespielt oder geleugnet.

Der französische Dichter und Literaturnobelpreisträger (1915) Romain Rolland (1866–1944) schrieb in diesem Zusammenhang einst: «Die Grausamkeit gegen die Tiere und auch schon die Teilnahmslosigkeit gegenüber ihren Leiden ist meiner Ansicht nach eine der schwersten Sünden des Menschengeschlechtes. Sie ist die Grundlage der menschlichen Verderbtheit. Wenn der Mensch so viel Leiden schafft, welches Recht hat er dann, sich zu beklagen, wenn auch er selbst leidet?»

Die modernen religiösen Institutionen verschließen jedoch ihre Augen vor dieser Sünde, ja manche behaupten sogar in ihren offiziellen Lehrmeinungen, das Schlachten und Schächten von Tieren sei dem Menschen von Gott erlaubt. Wenn wir allerdings die ursprünglichen Lehren der einzelnen Religionen untersuchen, sehen wir, daß das Schlachten von Tieren nirgendwo gutgeheißen wurde. In vielen Religionen war es sogar ausdrücklich verboten. Im folgenden werden wir die fünf großen Weltreligionen – Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus – unter diesem Aspekt genauer betrachten.

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Christentum

«Reiß nicht wegen einer Speise das Werk Gottes nieder! […]
Es ist nicht gut, Fleisch zu essen oder Wein zu trinken oder
sonst etwas zu tun, wenn dein Bruder daran Anstoß nimmt.»
(Apostel Paulus, Römerbrief 14,20-21)

«Was ihr einem meiner geringsten Brüder
getan habt, das habt ihr mir getan.»
(Jesus Christus, Matthäus 25,40)

Aus der frühchristlichen Geschichtsschreibung geht hervor, daß die ersten Generationen von Urchristen in der direkten Nachfolge Jesu Christi meist nur fleischlose Nahrung zu sich nahmen. Einige Apostel werden sogar namentlich als Vegetarier erwähnt. Im Buch Paedagogus (II,1) des Clemens von Alexandrien (150–215) heißt es, daß der Apostel Matthäus «von Pflanzenspeisen lebte und kein Fleisch berührte». Der griechische Geschichtsschreiber Eusebios (264–339), Bischof von Caesarea, weist in seiner «Kirchengeschichte» (II,2,3) darauf hin, daß der Evangelist und Apostel Johannes ein überzeugter Asket und Vegetarier war. Und der Apostel Petrus bezeugt in den Clementinischen Homilien (XII,6): «Ich lebe von Brot und Oliven, denen ich nur selten ein Gemüse zufüge.»

Jakobus, der Bruder oder Halbbruder Jesu, wird von allen Quellen ausdrücklich als lebenslanger Vegetarier bezeichnet. Eusebios zitiert in der «Kirchengeschichte» (II,23,5-6) das Zeugnis des Geschichtsschreibers Hegesippos: «Jakobus war heilig vom Mutterschoß an. Er trank weder Wein noch irgendwelche anderen starken Getränke, und er aß kein Fleisch.» Epiphanius schreibt in seiner Schrift «Gegen die Häresien» (78,14), daß Jakobus im Alter von 96 Jahren starb: «Er nahm nie Fleisch zu sich, und er trug nur ein Leinentuch als Kleidung.» Offenbar waren Vegetarier im Umfeld Jesu nichts Ungewöhnliches.

Auch jüdische Schriften enthalten Beschreibungen des Lebens Jesu, insbesondere die kurze, Jesus-kritische Schrift Toledoth Jeshu. Darin findet sich ein Zeugnis des Paulus, das im Neuen Testament fehlt: «Jesus befahl mir, daß ich kein Fleisch esse und keinen Wein trinke, sondern nur Brot, Wasser und Früchte [zu mir nehme], damit ich rein befunden werde, wenn er mit mir reden will.»

Weitere frühchristliche Vegetarier sind: der hl. Clemens von Rom (50–97) • Papias (65–130) • Clemens von Alexandria (150–215) • Tertullian (160–225) • Origenes (185–254) • der hl. Cyprianus (200–258) • der hl. Antonius (251–356) • Eusebius von Caesarea (264–349) • der hl. Basilius (330–379) • der hl. Johannes Chrysostomos (344–407) • der hl. Hieronymus (347–419) • Benedikt (480–547; Gründer des Benediktinerordens) • Bonifatius (672–754; der «Apostel der Deutschen»).

Tertullian, der älteste lateinische Kirchenschriftsteller, teilte um das Jahr 200 die Christen sogar in zwei Gruppen auf: einerseits die «wahren Christen», die vegetarisch lebten, und andererseits die Fleischesser, die er als «Leiber ohne Seelen» bezeichnete. Und vom hl. Basilius, Kirchenlehrer und Bischof von Caesarea, ist folgende Aussage überliefert: «Der Leib, der mit Fleischspeisen beschwert wird, wird von Krankheiten heimgesucht; eine mäßige Lebensweise macht ihn gesünder und stärker und schneidet dem Übel die Wurzel ab. Die Dünste der Fleischspeisen verdunkeln das Licht des Geistes. Man kann schwerlich die Tugend lieben, wenn man sich an Fleischgerichten und Festmahlen erfreut.»

Trotzdem waren nicht alle Nachfolger Jesu Vegetarier. Eine besondere Stellung nimmt in diesem Zusammenhang der Apostel Paulus ein. Er selbst hatte Jesus nie persönlich getroffen, er stand in einem Widerstreit mit den ursprünglichen Aposteln und predigte hauptsächlich auf eigene Faust. Und er aß gerne Fleisch, wie er offen zugibt: «Wenn ich in Dankbarkeit das Opferfleisch esse, soll ich dann getadelt werden, daß ich etwas esse, wofür ich Dank sage?» (1 Kor 10,30)

In den Paulusbriefen wird das Thema Fleischessen des öfteren aufgegriffen. Dies zeigt, daß es damals noch eine offene Frage war, ob man als Nachfolger Jesu Fleisch essen darf oder nicht. Paulus betonte, daß man den Vegetarismus nicht zu einem sturen religiösen Dogma machen dürfe, wie das damals einige jüdische und jüdisch-christliche Puritaner taten. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, ging Paulus in das andere Extrem und verkündete: «Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das eßt, ohne aus Gewissenhaftigkeit nachzuforschen. Denn es heißt: ‹Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt.› Wenn ein Ungläubiger euch einlädt und ihr hingehen möchtet, dann eßt, was euch vorgesetzt wird.» (1 Kor 10,25-27)

Hier haben wir es mit unterschiedlichen Standpunkten zu tun. Paulus betont die praktischen Aspekte des Missionierens und des Umgangs mit Menschen verschiedenster kultureller und religiöser Hintergründe. Die vegetarischen Jesus-Nachfolger hingegen betonen die Wichtigkeit, Gewalt zu vermeiden, und denken dabei an die Tiere und die negativen Folgen des Fleischessens. Leider wurde das Christentum dann bald eine imperiale Macht, die das Fleischessen sogar förderte.

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Wie der Fleischverzehr «christlich» wurde

Bis ins 4. Jahrhundert weisen die Spuren der frühchristlichen Gemeinden aus Palästina, Byzanz, Griechenland, Karthago und Alexandria (Ägypten) deutlich darauf hin, daß alkoholische Getränke und Fleisch weitgehend abgelehnt wurden. Die damaligen Christen bezogen ihr Wissen über die Lehren Jesu aus den vorhandenen Schriften und mündlichen Überlieferungen. Die meisten dieser urchristlichen Dokumente wurden später jedoch vom «kirchlichen» Christentum, dem neuen Zweig mit Rom als Zentrum, ignoriert oder abgelehnt.

Die Jesus-Bewegung verbreitete sich in den ersten drei Jahrhunderten nach Christus trotz massiver Verfolgungen im gesamten Mittelmeerraum und bis nach Indien. Diese geistige Macht führte auch zu Mißbrauch und Infiltration – und zu einer Institutionalisierung mit zunehmend weltlichen Interessen. Zu einer folgenschweren Wende kam es, als sich der damalige römische Kaiser Konstantin (280–337) entschied, diese neue Religion nicht mehr zu bekämpfen, sondern zu instrumentalisieren, indem er sie zur Staatsreligion im römischen Imperium ausrief und sich selbst zum Christentum «bekehrte». Konstantin, der nicht auf Fleisch und Wein verzichten wollte, ließ nur noch die römische Form des Christentums gelten und begann, die andere, ursprüngliche (!) Form des Christentums zu bekämpfen, oftmals mit brutaler Gewaltanwendung.

Im Jahre 325 berief Konstantin das Konzil von Nicäa ein, um gewisse Glaubensfragen autoritativ zu klären. Er beauftragte auch gewisse Gelehrte (sogenannte correctores), die zahlreichen frühchristlichen Dokumente über das Leben und die Lehren Jesu zu «sortieren» und zu «korrigieren». Nur vier der vielen ursprünglichen Zeugnisse wurden als Evangelien anerkannt und zu einem ersten Kanon zusammengefaßt, der jedoch durchaus nicht unumstritten war. Erst ein halbes Jahrhundert später (im Jahre 382) wurde eine mehrmals überarbeitete kanonische Textauswahl von Papst Damasus als «Neues Testament» anerkannt.

Der Theologe und Urchristentumforscher G. Ousley kommentiert diese vorsätzliche Änderung bzw. Verwässerung der Lehren Jesu wie folgt: «Alles, was diese correctores taten, war, daß sie mit peinlicher Sorgfalt die Evangelien um ganz bestimmte Lehren unseres Herrn beschnitten, denen sie (bzw. Konstantin) nicht zu folgen gedachten. Und zwar handelt es sich hierbei um jene Verbote, die sich gegen das Fleischessen, berauschende Getränke usw. richteten.» (Evangelium der Heiligen Zwölf, Vorwort)

Auf diese Weise gewann die neue Form des Christentums unter dem Patronat Kaiser Konstantins, der weder Ungehorsam noch Kritik duldete, und seiner Nachfolger die Oberhand und begann sich auszubreiten. Konstantin wurde in der Folge von der römischen Kirche wie ein Heiliger verehrt, und man verschönte seine Lebensgeschichte durch zahlreiche Legenden.

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In der Nachfolge Jesu?

Aber nicht nur die Menschen hatten unter dieser willkürlichen Abänderung der Gesetze Gottes durch die kirchlichen Institutionen zu leiden, sondern auch die Tiere, die weiterhin überall ungehindert geschlachtet und gegessen werden durften.

So beschloß das Konzil von Braga im Jahre 561 unter der Leitung von Papst Johannes III.: «Wenn jemand Fleischspeisen, die Gott den Menschen zum Genuß gegeben hat, für unrein hält und […] auf sie verzichtet […], so sei er mit einem Bannfluch belegt.»

Und im Mittelalter verkündete Thomas von Aquin (1225–1274), dessen Ansichten im christlichen Abendland für Jahrhunderte maßgebend waren, das Töten der Tiere sei durch die Vorsehung erlaubt, denn Tiere hätten keine Seele. (Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß er auch sagte, Frauen hätten keine Seele.) Eine Einzelmeinung aus dem dunklen Mittelalter? Nein, leider nicht. Später hieß es auch, die «Indianer» hätten keine Seele und die «Neger» hätten keine Seele, weshalb es den Christen offiziell erlaubt war, Indianer zu töten und Schwarze zu versklaven und mit ihnen genauso wie mit den Tieren Handel zu treiben, sie zu schinden und sie gegebenenfalls auch zu töten. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit werden in christlichen Ländern bis zum heutigen Tage Tiere gequält, getötet und gegessen.

Bischof Machens von Hildesheim erklärte in seinem «Fastenbrief» vom 8. März 1949: «Tiere haben keine geistige Seele und kennen kein Fortleben nach dem Tode. Darum haben sie aber auch keinerlei Würde, auf die sie Rechte bauen könnten. Und in der Tat, Tiere haben keine Rechte. Sie haben keinen Anspruch auf Dasein und Gesundheit, auf Eigentum und guten Ruf.»

In einem Gespräch mit dem namhaften Theologen Dr. Heinrich Streithofen stellte die Zeitschrift Deutsche Geflügelwirtschaft und Schweineproduktion vom 26. Oktober 1985 die Frage: «Einige Tierschützer behaupten, die Tiere hätten analog unseren menschlichen Grundrechten auch ein Grundrecht auf Leben. Was halten Sie davon?» Der Theologe antwortete: «Das ist Unsinn! Das ist weder rechtlich noch theologisch, noch philosophisch haltbar. […] Nur der Mensch ist Person. Dem Tier fehlt Personencharakter. […] In der Hinordnung des Tieres auf den Nutzen des Menschen läßt sich nicht nur seine Verwendung, sondern auch seine Tötung rechtfertigen oder seine Zucht.»

Daß die großen christlichen Institutionen nach wie vor keine Notwendigkeit sehen, die Tiere vor dem Tod durch Schlachtung und vor dem Labortod durch Vivisektion zu retten, zeigt das folgende Zitat aus dem neuen Katechismus der römisch-katholischen Kirche (formuliert vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.): «Somit darf man sich der Tiere zur Ernährung und zur Herstellung von Kleidern bedienen. Man darf sie zähmen, um sie dem Menschen bei der Arbeit und in der Freizeit dienstbar zu machen. Medizinische und wissenschaftliche Tierversuche sind in vernünftigen Grenzen sittlich zulässig, weil sie dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten. […] Auch ist es unwürdig, für sie [die Tiere] Geld auszugeben, das in erster Linie menschliche Not lindern sollte. Man darf Tiere gern haben, soll ihnen aber nicht die Liebe zuwenden, die einzig Menschen gebührt.» (Seite 609, Abschnitte 2417 und 2418)

Es ist also nicht verwunderlich, daß es schon immer Stimmen gab, die von einem «Verrat der Christen an den Tieren» sprechen. «Was erwarten wir von einer Religion, wenn wir das Mitleid mit den Tieren ausschließen?», fragte bereits Richard Wagner, der bekannte Komponist – und Vegetarier.

Und der deutsche Chemiker Günther Weitzel (1915–1984) schreibt: «Das christliche Gewissen kann sich mit der Nichtanwendung des fünften Gebotes auf die Schlachttiere nicht zufriedengeben. Wer einmal ein Schlachthaus besichtigt hat, pflegt von dem Gesehenen mehr oder weniger schockiert und angewidert zu sein. Fast jeder kommt zu der Ansicht, daß das brutale Erschlagen von Tieren, die man zuerst herangezogen und gemästet hat, um sie schließlich aufzufressen, der heutigen Menschheit und speziell des Christentums unwürdig ist.»

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Fleischessen und die Bibel

Was aber sagt die Bibel zum Thema Fleischessen? Die verschiedenen Ausgaben der Kirchenbibel stützen sich auf den Codex Sinaiticus, den ältesten Bibeltext, der heute noch vorhanden ist. Dieser Text ist in griechischer Sprache abgefaßt und stammt aus dem vierten Jahrhundert nach Christus, das heißt also aus der Zeit nach Kaiser Konstantins Konzil von Nicäa! Frühere Bibeloriginale sind heute offiziell nicht mehr verfügbar. Andere anerkannte Bibeltexte, wie der Codex Vaticanus und der Codex Alexandrinus, wurden noch später verfaßt und sind, wie auch schon der Codex Sinaiticus, nur kirchliche Übersetzungen und Abschriften von Abschriften.

So läßt es sich erklären, warum uns heute nur noch Bruchstücke der ursprünglichen Lehren Jesu Christi zur Verfügung stehen, gerade auch in bezug auf die menschliche Ernährung. Da uns in dieser Frage die schlüssigen Aussagen Jesu nicht mehr bekannt sind, erübrigen sich Diskussionen über die Ernährungsweise Jesu, wenn man sich ausschließlich auf das heutige Neue Testament stützen will.

Auch das Alte Testament macht, oberflächlich betrachtet, keine klaren Aussagen, sondern enthält sich widersprechende Anweisungen. Gewisse Textstellen gebieten dem Menschen eine vegetarische Ernährung, wohingegen andere das Fleischessen und Tieropfer erlauben. Bei einer genaueren Untersuchung jedoch muß man erkennen, daß der fleischlosen Ernährung eindeutig der Vorzug gegeben wird.

Im 1. Buch Mose findet man eine gewisse Erlaubnis zum Fleischessen («Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen», Gen 9,3), aber diese bezog sich auf die Zeit nach der Sintflut, als sämtliches Ackerland fortgespült war. Anstatt sich willkürlich auf diesen Notbehelf zu berufen (man müßte dann konsequenterweise auch die in Gen 9,6 geforderte Todesstrafe annehmen!), täte man besser daran, sich an die ursprüngliche Anweisung Gottes zu halten, die man auf der ersten Seite der Bibel finden kann: «Gott sprach: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.» (Gen 1,29)

Im übernächsten Vers bestätigt Gott, daß diese Art der Ernährung «sehr gut» sei, wohingegen die andere, die er später erwähnt (diejenige mit Fleisch), nur erlaubt sei aufgrund der momentanen Notlage nach der Sintflut – eine Ernährungsweise, die «Furcht und Schrecken […] auf alle Tiere der Erde, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres» legen werde (Gen 9,2).

Das vielzitierte Beispiel mit den Wachteln im 4. Buch Mose macht diesen Punkt noch klarer. Nachdem das Volk Israel auf seiner Wüstenwanderung des Manna, des Himmelsbrotes, überdrüssig geworden war und nach Fleisch verlangte, geschah es, daß Gott Wachteln vom Himmel regnen ließ, worauf das Volk diese gierig einsammelte und in einem großen Festmahl verzehren wollte (beschrieben in Num 11,31-32).

Um jedoch der ganzen Geschichte gerecht zu werden, muß man den darauffolgenden Vers ebenfalls berücksichtigen: «Sie hatten aber das Fleisch noch zwischen den Zähnen, es war noch nicht gegessen, da entbrannte der Zorn des Herrn über das Volk, und der Herr schlug das Volk mit einer bösen Plage» (Num 11,33). Mit anderen Worten: Gott gefiel es nicht, daß die Menschen das Fleisch der Wachteln aßen!

Der hl. Hieronymus (347–419), Kirchenvater von Bethlehem, schrieb: «Der Gebrauch des Weines hat mit dem Fleischessen angefangen nach der Sintflut. Der Verzehr von Tierfleisch war bis zur Sintflut unbekannt, aber seit der Sintflut hat man uns die Fasern und die übelriechenden Säfte des Tierfleisches in den Mund gestopft. […] Jesus Christus, welcher erschien, als die Zeit erfüllt war, hat das Ende wieder mit dem Anfang (Gen 1,29) verknüpft, so daß es uns jetzt nicht mehr erlaubt ist, Tierfleisch zu essen.»

Trotz all dieser Hinweise sagen viele Christen, die Bibel erlaube, ja fordere sogar das Essen von Fleisch. Dabei berufen sie sich oft auf eine Stelle aus der Apostelgeschichte (Apg 10,9-16):

«Petrus stieg gegen Mittag auf das Dach, um zu beten. Da wurde er hungrig und wollte essen. Während man etwas zubereitete, kam eine Vision über ihn. Er sah den Himmel offen und eine Schale auf die Erde herabkommen, die aussah wie ein großes Leinentuch, das an den vier Ecken gehalten wurde. Darin lagen alle möglichen Vierfüßler, Kriechtiere der Erde und Vögel des Himmels. Und eine Stimme rief ihm zu: ‹Steh auf, Petrus, schlachte und iß!› Petrus aber antwortete: ‹Niemals, Herr! Noch nie habe ich etwas Unheiliges und Unreines gegessen.› Da richtete sich die Stimme ein zweites Mal an ihn: ‹Was Gott für rein erklärt, nenne du nicht unrein!› Das geschah dreimal, dann wurde die Schale plötzlich in den Himmel hinaufgezogen.»

Ist diese Bibelstelle wirklich eine Aufforderung zum Fleischessen? Nur wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt, könnte man zu einer solchen Fehlinterpretation kommen. Die Reaktion des Petrus zeigt, daß Fleisch für ihn etwas Unheiliges und Unreines war, und die alten Quellen bestätigen, daß er kein Fleisch gegessen hat. Petrus hat dann auch keines der Tiere geschlachtet und gegessen, zumal es sich nur um eine Vision handelte. Nur ein paar Abschnitte später erklärt Petrus selbst, was die Bedeutung dieser Vision war. Zu der Zeit waren nämlich Boten eines frommen Römers aus Caesarea unterwegs, um ihn, Petrus, in das Haus dieses Römers einzuladen. Aufgrund der Vision nahm Petrus die Einladung an und erklärte seinem Gastgeber:

«Ihr wißt, daß es einem Juden nicht erlaubt ist, mit einem Nichtjuden zu verkehren oder sein Haus zu betreten; mir aber hat Gott gezeigt, daß man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf. Darum bin ich auch ohne Widerspruch gekommen, als nach mir geschickt wurde.» (Apg 10,28-29)

Offensichtlich ging es in dieser Vision nicht um eine Aufforderung zum Fleischessen, sondern um eine symbolische Darstellung, die zeigen sollte, daß der Mensch nicht das Recht hat, aufgrund religiös-sozialer Dogmen andere Menschen als unrein oder unwürdig zu bezeichnen. Wenn es hier um das Essen von Fleisch ging, dann höchstens als Zeichen einer prinzipiellen Ausnahme, damit man nicht bloß aus einem religiösen Dogmatismus heraus kein Fleisch ißt. Zu behaupten, diese Bibelstelle erlaube den Christen explizit das Fleischessen, ist also eine krasse Fehlinterpretation, wenn nicht sogar Heuchelei.

Andere Bibelstellen machen hingegen deutlich, daß die fleischlose Ernährung nicht nur ethischer und gottgefälliger, sondern auch gesünder ist als das Fleischessen und daß sie darüber hinaus den Menschen sogar für göttliche Weisheit und Visionen öffnen kann:

«Da wandte sich Daniel an den Aufseher, den der Palastvorsteher für ihn und seine drei Freunde [Mitgefangenen] eingesetzt hatte. ‹Mach doch einmal zehn Tage lang einen Versuch mit uns›, bat er ihn. ‹Laß uns nur Gemüse essen und Wasser trinken. Danach vergleiche unser Aussehen mit dem der jungen Leute, die ihr Essen von der Tafel des Königs bekommen, und entscheide dann, was weiter geschehen soll.› Der Aufseher ging auf ihre Bitte ein. Nach zehn Tagen zeigte sich, daß Daniel und seine Freunde sogar besser und kräftiger aussahen als die jungen Leute, die ihr Essen von der königlichen Tafel erhielten. Da ließ der Aufseher ihnen weiterhin fleischlose Kost geben, und auch den Wein von der königlichen Tafel erließ er ihnen. Und Gott verlieh diesen vier jungen Männern Wissen und Verständnis in jeder Art Schrifttum und Weisheit; Daniel besaß darüber hinaus die Fähigkeit, Träume und Visionen aller Art zu verstehen und zu deuten.» (Dan 1,11-17)

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Johannes der Täufer

Gottesbewußte Menschen aller Zeiten lehnten es also aus guten Gründen ab, das Fleisch getöteter Tiere zu essen. Man erweist sich selbst und diesen Persönlichkeiten einen schlechten Dienst, wenn man versucht, ihnen zu unterstellen, auch sie hätten Fleisch gegessen. Doch leider geschah dies immer wieder, nicht zuletzt auch mit dem wichtigsten Vorboten Jesu, Johannes dem Täufer: «Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften; Heuschrecken und wilder Honig waren seine Nahrung», ist in Mt 3,4 zu lesen.

Hier sehen wir ein klassisches Beispiel für eine manipulierte Übersetzung. Wer kann glauben, daß der erhabene Johannes der Täufer, von dem sich sogar Jesus taufen ließ, Heuschrecken aß? Mit den vermeintlichen «Heuschrecken» (lat. locusta) sind die Früchte des Lokustbaumes (sogenannter «Heuschreckenbaum» oder Courbaril) gemeint. In Palästina gehören die Früchte des Lokustbaumes, die Karoben, zu den wichtigsten Nahrungsmitteln, und gerade weil sich auch Johannes der Täufer davon ernährte, nennt man diese süßen, bohnenartigen Hülsenfrüchte bis zum heutigen Tag «Johannisbrot»! Und überall, wo diese blütentragenden Bäume wachsen, gibt es auch wilden Honig. Johannisbrot und Honig passen kulinarisch auch um einiges besser zusammen als Heuschrecken und Honig. Das hätte eigentlich auch den Bibelübersetzern schon längst auffallen dürfen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß auch in der frühen rabbinischen Literatur Heilige erwähnt werden, die sich von nichts weiter als Johannisbrot ernährten, so zum Beispiel Rabbi Hanina im talmudischen Traktat Berakhot.

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Hoffnungsschimmer

Glücklicherweise gibt es heutzutage eine zunehmende Anzahl gläubiger Christen, die das biblische Gebot «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!» nicht nur auf den Menschen beschränken und demzufolge – auf der Grundlage der christlichen Lehren – einer vegetarischen Ernährungsweise den Vorzug geben. Stellvertretend für sie alle seien hier zwei Beispiele angeführt, die uns hoffen lassen.

Prof. Erich Gräßer, Ordinarius für Neues Testament an der Universität Bonn, erklärte in einer Ansprache zum Thema «Kirche und Tierschutz»: «Wenn einst die Geschichte unserer Kirche geschrieben wird, dann wird das Thema ‹Kirche und Tierschutz› im 20. Jahrhundert darin ein ebenso schwarzes Kapitel darstellen wie einst das Thema ‹Kirche und Hexenverbrennung› im Mittelalter. […] Was wir heute erleben, ist ein mit dem Rechenstift ausgeklügeltes, schreckliches Höllenspiel, in dem wir unsere Nutztiere in der Massentierhaltung zu Tiermaschinen herabstufen. Die Übermenge an Eiern, Fleisch und Butter, die die westlichen Wohlstandsgesellschaften auf diese Weise produzieren, ist mit menschenunwürdiger Tierquälerei bezahlt. Gegenüber dieser überall straflos praktizierten Ungeheuerlichkeit liest sich Albert Schweitzers Ethik der ‹Ehrfurcht vor dem Leben› wie eine Botschaft von einem anderen Stern. Und eine Kirche, die zu dem allem schweigt, erklärt damit den Bankrott ihrer Barmherzigkeitspredigt. / Dabei ist die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben biblisch. Die Bibel des Alten und Neuen Testaments ist voller Zeugnisse von Gottes Fürsorge für alle Geschöpfe. Weil das Gutsein zu den Tieren eine Selbstverständlichkeit ist, hat man das Zentrum des christlichen Glaubens, die Dahingabe des Lebens Jesu für die Sünden der Menschen, mit dem Bilde vom guten Hirten umschrieben: ‹Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe.›»

Und Eugen Drewermann, der wohl bekannteste Theologe/Psychotherapeut der Gegenwart, erläuterte in einem Vortrag zur Friedenskultur in den Religionen (18. August 1991) die berühmte Zeile des «Vater Unser»-Gebetes, Unser tägliches Brot gib uns heute, wie folgt:

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Judentum

«Du, der du Erbarmen mit einem Lamm hast,
sollst der Hirte meines Volkes Israel werden.»
(Midrasch Rabbah, Exodus II,2)

Nicht nur viele urchristliche Kirchenväter der ersten Jahrhunderte nach Jesus lebten vegetarisch, sondern auch verschiedene jüdische Mönchsorden vor und während Jesu Lebzeiten, wie beispielsweise die Essener und die Nazaräer.

Vertreter dieser Orden und auch einzelne jüdische Propheten übten bereits in den Jahrhunderten vor Christus heftige Kritik am institutionalisierten Brauchtum der Tieropfer, das eng mit dem priesterlich sanktionierten Fleischkonsum zusammenhing. So erging zum Beispiel durch den Propheten Jesaja folgendes Gotteswort an die tieropfernden Priester: «Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern? Die Widder, die ihr als Opfer verbrennt, und das Fett eurer Rinder habe ich satt; das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider. […] Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. Eure Hände sind voller Blut. Wascht euch, reinigt euch! Laßt ab von eurem üblen Treiben! Hört auf, vor meinen Augen Böses zu tun!» (Jes 1,11 und 1,15-16)

Das Opfern und Schlachten von Tieren gilt laut diesem Prophetenwort als «übles Treiben» und «böses Tun»! Warum? Weil dies dem ursprünglichen Gesetz Gottes widerspricht, wie es gleich zu Beginn der Genesis vom Schöpfergott selbst ausgesprochen wird (siehe die bereits zitierte Stelle Gen 1,29).

Die Genesis als das 1. Buch Mose ist nicht nur das erste Buch der Bibel, sondern auch das erste Buch der jüdischen Torah. Und in diesem Buch wird gesagt, daß die ersten zehn biblischen Generationen (von Adam bis Noah) in der Befolgung des ursprünglichen göttlichen Gesetzes vegetarisch lebten. Aufgrund des Sündenfalls im Paradies kam es unter den Menschen jedoch zu Mord und Eifersucht (Kain und Abel), was letztlich zur Sintflut als «Strafe Gottes» führte. Erst nach dieser globalen Katastrophe begannen die Menschen aufgrund ihrer Überlebensnot Fleisch zu essen, und auch in dieser Situation erlaubte ihnen Gott das Fleischessen nur mit großen Einschränkungen. Daß alle Menschen vor der Sintflut und auch während der Sintflut (auf der «Arche Noah») fleischlos lebten, wird in Gen 9,3 deutlich hervorgehoben: «Ihr dürft von jetzt ab Fleisch essen, nicht nur Korn, Obst und Gemüse.» Im gleichen Atemzug sagt Gott aber auch, daß «alle Tiere, die Landtiere, die Wassertiere und die Vögel» von nun an «vor euch in Furcht leben müssen» (Gen 9,2), und er fügt umgehend ein vielsagendes Verbot an: «Fleisch jedoch, in dem noch Blut ist, sollt ihr nicht essen, denn im Blut ist das Leben» (Gen 9,4). Gleich danach (Gen 9,6) erläßt der alttestamentarische Gott für die fleischessende Menschheit harte Gesetze: «Ich fordere Leben für Leben, von Tier und Mensch. Wer einen Menschen tötet, der muß von Menschenhand sterben, denn der Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen.» Und ursprünglich lebte der nach dem Bild Gottes geschaffene Mensch vegetarisch!

Wie oben beschrieben, war es den Menschen sogar in der extremen Notsituation nach der Sintflut nicht erlaubt, schrankenlos Fleisch zu essen. Gottes Erlaubnis war mit erheblichen Auflagen und Einschränkungen verbunden. So wird beispielsweise strikt verboten, «Fleisch mit Blut» zu essen (Gen 9,4; Lev 17,14, u.a.). Statt jedoch einfach das Fleisch gänzlich wegzulassen – vor allem, nachdem die Notsituation vorüber war –, führten jüdische Glaubenslehrer, gestützt auf die Annahme, Fleisch ohne Blut essen zu dürfen, komplizierte Speisegesetze (Kaschrut) sowie Reinheitsregeln und Tötungsrituale (Schechitah) ein, um «koscheres» Fleisch zu bekommen.

Diese tradierten Vorschriften und Rituale werden bis zum heutigen Tage kaum hinterfragt oder auf ihre Sinnhaftigkeit hin untersucht. So werden noch heute die Tiere geschächtet, das heißt, man zieht sie an ihren gefesselten Hinterbeinen in die Höhe, schneidet ihnen bei lebendigem Leib die Kehle auf und läßt sie langsam verbluten – eine äußerst brutale Tötungsmethode, die das Fleisch ohnehin niemals 100% blutlos machen kann: Das flüssige Blut wird durch diese aufwendige Methode zwar aus den Arterien beseitigt, es verbleibt aber in den Kapillaren, den kleinsten Blutgefäßen, in verfestigter Form. Es gibt also kein blutloses Fleisch! Diese Regeln müßten eigentlich zeigen, daß es besser wäre, das Fleisch ganz wegzulassen.

Der namhafte jüdische Gelehrte Richard Schwartz argumentiert: «Kann eine Religion, die bestimmt, daß Ochse und Esel nicht zusammen eingesperrt werden dürfen (Dtn 22,10), daß einem Ochsen beim Getreidedreschen kein Maulkorb angelegt werden darf (Dtn 25,4) und daß Tiere auf offenen Feldern frei grasen sollen, um sich an der Schönheit der Schöpfung am Sabbath zu erfreuen (Rashis Kommentar zu Ex 23,12) – kann eine solche Religion die weitverbreiteten Verstöße gegen tsar-ar ba-ale chayim, das Gebot, keiner lebenden Kreatur Schmerzen zuzufügen, ignorieren?» (in: Judaism and Vegetarianism)

Schlußfolgernd zum Thema Vegetarismus, Judentum und jüdische Speisegebote können wir festhalten:

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Islam

«Wer gegenüber einem Tier Mitleid fühlt,
dem wird auch Allah Mitgefühl schenken.»
(Prophet Mohammed)

Nach der Tradition des Islam soll in Mekka, dem heiligen Geburtsort des Propheten Mohammed (570–632), kein Geschöpf Gottes geschlachtet werden, und es soll dort unter allen Lebewesen jederzeit vollendete Harmonie herrschen.

Die islamische Tradition kennt viele und umfangreiche Äußerungen über die enge Verbundenheit von Mensch und Tier. Wir finden in den Lehren des Koran zahlreiche Textstellen, die von universaler Barmherzigkeit sprechen und die Gerechtigkeit für alle lebenden Wesen fordern. So heißt es in der Sechsten Sure: «Es gibt keine Tiere auf der Erde und keine Vögel, die mit ihren Flügeln fliegen, die nicht Geschöpfe (oder: lebende Gemeinschaften) sind gleich euch.» (6,38)

Obwohl der Islam nicht eine Religion ist, die offiziell den Vegetarismus lehrt, hielt Mohammed stets das ethische Ideal der Tierliebe hoch, wie aus den überlieferten autoritativen Lebensbeschreibungen (Hadith) deutlich hervorgeht. So unterwies er beispielsweise seinen Sohn Ali einst wie folgt: «O Ali, enthalte dich für vierzig aufeinanderfolgende Tage des Fleischessens. Denn wenn du vierzig Tage hintereinander Fleisch ißt, wird dein Herz so hart wie Stein werden, und du wirst kein Mitgefühl mehr haben. Deshalb laß davon ab, Fleisch zu essen.» Auch seinen Schwiegersohn unterwies Mohammed bei verschiedenen Gelegenheiten in diesem Sinne. Allerdings konnte er diese wertvolle Belehrung nicht zur allgemeinen Regel erheben, denn für die meisten wären solche Ernährungsgebote zu anspruchsvoll gewesen.

Mohammed selbst ernährte sich hauptsächlich von verdünnter Milch, Joghurt, Honig, Nüssen, Feigen, Datteln und anderen Früchten. Aus der Einsicht heraus, daß er das Tieretöten zum Zweck des Fleischessens nicht vollständig würde verbieten können, auferlegte er den Menschen absichtlich zahlreiche Einschränkungen beim Opferritual (Qurban), etwa in bezug auf die Anzahl der zu schlachtenden Tiere oder auf den Vorgang des Schlachtens. So müsse der Schlächter dem Tier während des Tötens in die Augen sehen, und wenn er die Tränen in den Augen des Tieres sehe, solle er ebenfalls weinen. Auf diese indirekte Weise versuchte Mohammed, die Menschen über den Sinn des gewaltfreien Lebens zu belehren. Denn solche Regeln können dazu führen, daß sie zu einer höheren Einsicht kommen und in der Folge gänzlich darauf verzichten, Tiere zu töten.

Gemäß der Hadith-Überlieferung begab es sich einst, daß Mohammed seine Schüler tadelte, weil sie kein universelles Mitgefühl zeigten. «Aber wir üben doch Mitgefühl», erwiderten diese, «gegenüber unseren Frauen, Kindern und anderen Verwandten.» Der Prophet aber antwortete: «Davon habe ich nicht gesprochen. Ich spreche von allumfassendem Mitgefühl.»

Auf der Grundlage dieses deutlichen Bekenntnisses zu Mitgefühl und Gewaltlosigkeit gegenüber allen Geschöpfen Gottes haben auch im islamischen Kulturkreis – ähnlich wie im Christentum und im Judentum – immer wieder einzelne Gläubige eine Ernährung ohne Fleisch gewählt. Vor allem im Sufismus, einem bekannten asketisch-mystischen Zweig des Islam, gilt die Abstinenz von Fleisch und von Alkohol als hohes religiöses Ideal und als Voraussetzung zur Verinnerlichung des Geistes und zur ekstatischen Gottesschau.

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Buddhismus

«Der Fleischverzehr tötet den Keim
des großen Mitgefühls mit allen Lebewesen.»
(Mahaparinirvana-Sutra)

In seinen Lehren führte Buddha, «der Erleuchtete» (um 560–480 v. Chr.), das Prinzip des Ahimsa (Gewaltverzicht) und damit den konsequenten Vegetarismus als einen der fundamentalen Schritte auf dem Weg zur Selbsterkenntnis ein. In der Tat bestand eines seiner hauptsächlichen Anliegen darin, dem Laster der Tieropfer und des Fleischessens Einhalt zu gebieten. Noch heute ist die buddhistische Lehre für ihre Friedfertigkeit und Nächstenliebe berühmt – wenngleich längst nicht mehr alle Buddhisten Vegetarier sind.

In einem uralten Gedicht, laut Tradition dem einzigen Text, der je von Buddha selbst verfaßt wurde, heißt es: «Meine Liebe gehört den Kreaturen, die keine Füße haben; auch denen mit zwei Füßen, und ebenso denen, die viele Füße haben. Möge alles Geschaffene und Lebendige, mögen alle Wesen, welcher Art auch immer sie seien, nichts erfahren, wodurch ihnen Unheil droht. Möge ihnen niemals Böses widerfahren.»

Weitere Buddha-Worte bestätigen diese Lehre des unbedingten Gewaltverzichts, vor allem in bezug auf die Ernährung: «Aus Liebe zur Reinheit sollte der erleuchtete Buddha-Anhänger dem Verzehr von Fleisch entsagen, da Fleisch letztlich nichts anderes ist als die Umwandlung von Blut und Samen. Auch aus Furcht, anderen Lebewesen Todesangst einzuflößen, sollte der erleuchtete Buddha-Anhänger, der durch Selbstdisziplin die Stufe des Mitgefühls zu erreichen sucht, den Fleischverzehr ablehnen.» (Lankavatara-Sutra)

«Der Grund für das Ausüben von Meditation und für das Streben nach Erleuchtung ist der Wunsch, den Leiden des Lebens zu entrinnen. Warum also sollten wir anderen Wesen Leid antun, während wir selbst versuchen, ihm zu entkommen? Solange ihr nicht imstande seid, euren Verstand soweit zu beherrschen, daß allein schon der Gedanke an Grau-samkeit und Töten euch ein Greuel ist, wird es euch nicht gelingen, den Fesseln des weltlichen Lebens zu entrinnen.» (Surangama-Sutra)

Heutzutage meinen manche Buddhisten, daß Fleisch dann verzehrt werden könne, wenn das Tier nicht speziell für ihren eigenen Genuß geschlachtet wurde. Einige Mönche behaupten sogar, daß sie Fleisch essen dürften, das ihnen als Almosen gespendet wurde, da sie auf diese Weise ja nicht selbst am Töten beteiligt seien. Solche Argumente werden von den Schriften allerdings klar zurückgewiesen. So warnt Buddha zum Beispiel im Surangama-Sutra: «Nach meinem Verscheiden werden überall verschiedenartige Geistwesen auftreten, die die Menschen in die Irre führen, indem sie lehren, daß man Fleisch essen dürfe und dennoch zur Erleuchtung gelangen könne. […] Wie aber kann ein Mönch, der andere zur Befreiung zu führen gedenkt, sich am Fleische lebendiger Geschöpfe laben?»

Im Lankavatara-Sutra erklärt er noch deutlicher: «Es stimmt nicht, daß das Fleischessen dann erlaubt ist, wenn das Tier nicht vom Fleischesser selbst getötet wurde, wenn dieser nicht den Auftrag dafür gab oder wenn das Fleisch nicht direkt für ihn bestimmt war. Es mag in Zukunft Menschen geben, die unter dem Einfluß ihres Verlangens nach Fleisch eine Vielzahl ausgeklügelter Argumente hervorbringen werden, um ihren Fleischverzehr zu rechtfertigen. […] Dennoch ist Fleischessen in jeder Form, unter allen Umständen und überall verboten – ohne Ausnahmen und ein für allemal. […] Das Verzehren von Fleisch habe ich niemandem erlaubt, erlaube ich niemandem und werde es auch fortan niemandem erlauben.»

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Hinduismus

«Es ist bereits im Namen der Kuh enthalten,
daß sie nicht geschlachtet werden darf, denn einer
ihrer Namen ist ‹aghnya› (die nicht zu Tötende).
Wer könnte sich also erdreisten, sie zu töten?
Wer eine Kuh oder einen Stier tötet, begeht ohne
Zweifel ein äußerst abscheuliches Verbrechen.»
(Mahabharata, Shantiparva 262,47)

Hinduismus ist der moderne Sammelbegriff für die zahlreichen aus Indien stammenden Philosophien und Glaubensströmungen. Die Tradition, die später zur Entstehung der ältesten Veda-Schriften führte, geht weit über 5000 Jahre zurück. Von allen großen Weltreligionen ist der Hinduismus somit nicht nur die älteste Tradition, sondern auch diejenige, in der die meisten Vegetarier zu finden sind.

Schon seit Jahrtausenden sind die ethischen Ideale des Ahimsa (Gewaltverzicht) und des Respekts vor allen Geschöpfen Gottes Grundlage der indischen Kultur. Erst durch den Einfluß des Islam (ab dem 12. Jhd.) und des Christentums (etwa ab 1600) begann auch dort eine zunehmende Zahl von Menschen, Tiere zu töten und Fleisch zu essen. Doch obwohl heutzutage auch in Indien Schlachthöfe betrieben werden, weist die Bevölkerung Indiens noch immer den weltweit höchsten Vegetarieranteil auf.

Die verschiedenen ursprünglichen Gesetzessammlungen der vedischen Kultur, wie beispielsweise die Manu-smriti, enthalten klare Anweisungen bezüglich des Fleischessens: «Fleisch kann man sich nicht verschaffen, ohne anderen Lebewesen Gewalt anzutun. Deshalb sollte man den Verzehr von Fleisch vermeiden.» An einer anderen Stelle heißt es: «Bedenkt man die abscheuliche Herkunft von Fleisch und die Grausamkeit, die die Gefangenschaft und das Schlachten verkörperter Wesen mit sich bringt, dann sollte man sich des Fleischessens völlig enthalten.» (5,49) Und: «Indem man keine lebenden Wesen tötet, wird man der Erlösung würdig.» (6,60)

Das Mahabharata (Anuparva 115,40) bezieht eine klare Position, wer alles als Fleischesser zu betrachten ist, und nennt eine ganze Kette von Tätern: «Derjenige, der Fleisch bestellt, es liefert, das Tier tötet und zerlegt, das Fleisch verkauft, kauft, zubereitet oder ißt – sie alle sind als Fleischesser zu betrachten und machen sich des Tötens schuldig.»

Ebenso deutlich äußern sich auch andere Veda-Schriften, wie etwa die berühmte Bhagavad-Gita: «Nahrung, die ohne Geschmack, faul und gegoren ist, und Nahrung, die aus Speiseresten und verunreinigten Dingen [wie Fleisch] besteht, wird von Menschen geschätzt, die sich in Unwissenheit befinden.» (BG 17,10)

Im folgenden Kapitel werden wir nochmals auf diese vedischen Urtexte zurückkommen, denn ihre Aussagen sind insbesondere in bezug auf die karmischen Konsequenzen des Fleischkonsums höchst wertvoll und aufschlußreich.

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